Erst O.K., jetzt K.O.?

Das Southpaw Gym in Connewitz wird abgewickelt. Der kreuzer war auf Milieu-Verbindungen des Interim-Chefs gestoßen.

Das Southpaw in Leipzig. Linkes Kampfsportgym, Trainingsort für Kinder, Anbieter von Deeskalationskursen. Die Betreiber hatten den Anspruch, antirassistische und humanistische Werte zu vertreten. Das Gym war im Viertel lange Zeit bekannt für sein progressives Image.

Und auch die Betreibergesellschaft Helianthus galt vielen als progressive Agentur für Gewaltprävention und Deeskalation. Auftraggeber waren große Verbände wie die Diakonie. Wir schreiben in der Vergangenheit, denn nach einer Anfrage des kreuzer werden Sportclub und Betreibergesellschaft jetzt abgewickelt.

Zu wenig Information

Unsere Recherche beginnt ganz unspektakulär, mit einem internen Newsletter an Mitglieder des Southpaw Gyms. Die Mitteilung kommt von der Geschäftsführung der Leipziger Helianthus GmbH, Betreiberin des Gyms:

»Es gibt einige News, über die wir euch heute gern informieren wollen. […] Unser neuer Geschäftsführer ist Maik«.

Maik. Nur ein Vorname. Bei so wenig Information werden wir neugierig. Denn das Southpaw war bereits Thema im kreuzer. Mehrere Trainerinnen und Trainer hatten 2023 ihre Jobs verloren, die Gewerkschaft FAU erstritt am Ende die Gehaltsnachzahlung. Seitdem war es still um das Connewitzer Gym und die Betreibergesellschaft Helianthus GmbH.

Ende 2023 wird ein neuer Interims-Geschäftsführer eingesetzt. Die Mitglieder des Gyms erfahren das erst am 9. Februar 2024, im oben zitierten Newsletter. Wir fragen uns: Wer ist der Mann, der das Gym wieder auf Kurs bringen soll? Wir erfahren von Quellen, dass es sich bei ihm um den ehemaligen Chef der Leipziger Hells Angels handeln soll. Dieser Information gehen wir nach.

Die Plattform Northdata sammelt Firmendaten, sie liefert uns ein erstes Ergebnis: den Nachnamen. Maik R. heißt der neue Mann im Gym, geboren 1964. Er fungiert laut Northdata tatsächlich als Geschäftsführer der Helianthus, was später vom Gym bestätigt wird.

Vor seiner Tätigkeit im Connewitzer Gym leitete der Mann andere Unternehmen in der Region, aktuell vertritt er noch eine »Beauty-Firma« als Prokurist. Zuvor betrieb seine Big Apple UG eine Tabledance-Bar in Halle. Die Daten der Angels Gastronomie GmbH verweisen ebenfalls auf Maik R: Er war dort bis zur Liquidation 2011 Prokurist. Firmensitz war die Dessauer Straße 24 – seit Jahren Sitz des Leipziger Bordells »Angels World«. Es wird den Hells Angels zugerechnet. Deren Leipziger Chapter hatte sich 2016 nach einer Schießerei auf der Eisenbahnstraße aufgelöst. Wir recherchieren weiter.

Über die Beauty-Firma identifizieren wir den Facebook-Account des Mannes. Ein Maik R. bewirbt sie dort, bezeichnet sie als »unsere neue außergewöhnliche […] Firma«. Ein Blick in die Freundesliste von Maik R. verrät: Er ist mit anderen Personen aus dem Southpaw befreundet: Mit der Anwältin Doreen B.-V. und mit Michael B. Beide stehen in der Gesellschafterliste.

»Mehr Sicherheit im Alltag«

In Facebook-Beiträgen von R. ist die Rede von »grünen Idioten« und »zwangsfinanzierten Sendern«. Ein Beitrag richtet sich gegen die Entscheidung des MDR, dem neu-rechten Komiker Uwe Steimle keine Bühne mehr zu geben.

In einem Post schreibt R., man solle den Bundestag »um mindestens 300 unnötige Sitze entmüllen«. Er teilt einen Beitrag, in dem es heißt, Geflüchtete aus Syrien sollten »vor Scham im Boden versinken«, weil sie ihre Frauen und Kinder »schutz- und hilflos in einem Kriegsgebiet zurückgelassen« hätten.

Das Southpaw Gym wirbt auf seiner Startseite mit dem Satz: »Das Gym soll ein diskriminierungsarmer, geschützter Ort sein«.

Auffällig ist auch die Freundesliste von R.: zahlreiche Rocker, Männer mit AfD-Slogans im Profilbild, teils offen rechtsextreme Akteure. Darunter auch: Toni Schneider, früherer Identitären-Aktivist, heute für die AfD im Landkreis Bautzen aktiv.

Der Rocker-Spur gehen wir weiter nach. Ein Maik R. gab 2011 der LIZ Interviews – als Chef der Leipziger Hells Angels. Das Alter des Angels-Chefs und von Maik R. sind gleich, beide sind heute 60 Jahre alt. Was uns unsere Quellen bereits bestätigten, wird durch unsere Recherche gestützt: Maik R. und der ehemalige Leipziger Hells Angels Chef scheinen ein und dieselbe Person zu sein.

Derweil wirbt das Southpaw mit dem Slogan »Mehr Sicherheit im Alltag«. Wir fragen R. per Mail: Waren Sie der Chef der Hells Angels Leipzig? Haben Sie der LIZ 2011 das Interview gegeben? Wir bekommen bis zum Redaktionsschluss keine Antwort, fragen Doreen B.-V. und Michael B. vom Gym, was sie über die Vergangenheit R.s wissen, was sie zu seinem Facebook-Auftritt sagen und wie er zum Geschäftsführer wurde.

Ein schnelles Ende

Beide antworten uns. Frau B.-V. äußert sich nicht zu den Fragen, beruft sich auf ihre anwaltliche Schweigepflicht. Michael B. antwortet ausführlicher, allerdings nicht auf unseren Fragenkatalog. Stattdessen schickt er ein Statement des Southpaw.

Demnach wurde B. noch am 7. März – dem Tag unserer Anfrage – zum Liquidator der das Gym betreibenden Helianthus GmbH bestellt. Er soll die Firma jetzt abwickeln. Zuvor hatte man offenbar eilig eine Gesellschafterversammlung einberufen. Das Gym sei mit sofortiger Wirkung geschlossen, schreibt B. Und im Anhang schickt er ein Statement, das auch am Gym aushängt. Am Freitag geht das Statement per Mail an alle Mitglieder:

»Wir waren uns der Vergangenheit des ehemaligen Interims nicht bewusst. […] Auch wenn nur die Hälfte der aufgeworfenen Fragen inhaltlich stimmen sollte, ist für uns ein weiterer Betrieb des Southpaw-Gyms absolut nicht tragbar.«

B. betont, er habe keine Verbindungen in Milieu-Strukturen und distanziere sich »komplett und vollumfänglich von Rechtsextremismus, verfassungsfeindlichem AFD-Gedankengut, Ausgrenzungen anderer Kulturen, Diskriminierungen jedweder Art in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«. Darüber hinaus distanziere er sich auch »von Linksextremistischem Gedankengut«. Mittlerweile sind Doreen B.-V. und Michael B. nicht mehr mit Maik R. auf Facebook befreundet.

Wir haben das Southpaw und die Helianthus GmbH außerdem gefragt, ob Maik R. Zugang zu den Daten – Namen, Adressen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern – derjenigen hatte, die im Gym trainierten. Auf die Frage erhielten wir keine Antwort.

Transparenzhinweis: Der Autor des Textes trainierte bis Ende 2022 selbst im Southpaw Gym.


14.06.2023 Jan Müller

Nicht k. o. und nicht o. k.

Ehemalige Trainerinnen und Trainer des Southpaw-Gyms kämpfen um ausstehende Löhne

Im Regelwerk des Boxens gibt es drei Befehle, die der Ringrichter oder die -richterin geben kann: Stop (aufhören zu kämpfen), break (auseinandergehen) und box (kämpfen). Diesen Kommandos haben die Beteiligten Folge zu leisten, sonst droht die Disqualifikation. Und sie passen erstaunlich gut zu dem Konflikt, in dem sich mehrere ehemalige Trainer und Trainerinnen des Southpaw-Gyms mit der Führungsebene seit Sommer letzten Jahres befinden. Im Wesentlichen geht es dabei um ausstehende Lohnzahlungen, der Streit kulminierte vorerst in einer Kundgebung vor dem Gym im März dieses Jahres. Wie konnte es zu dieser Eskalationsstufe kommen und wie ist der Stand der Auseinandersetzung zwischen Geschäftsführung und ehemaligen Trainern und Trainerinnen?

Stop

Das Southpaw-Gym (»Southpaw« bedeutet Rechtsausleger im Kampfsport-Jargon) in der Brandstraße in Connewitz gibt es seit 2019. Sein Fokus liegt auf »Striking«, einem Konglomerat von Kampftechniken, die im Stehen ausgeführt werden – etwa Boxen, Kickboxen und Taekwondo – und »Grappling«, also Bodenkampf. Es gibt gesondert organisierte FLINTA-Kurse. Schnell zog das Gym, auch wegen des in den letzten Jahren gestiegenen Interesses an Kampfsport in linken Kreisen, neue Mitglieder an und wuchs beständig.

Anders als viele Kampfsporteinrichtungen, die als eingetragene Vereine organisiert sind, ist das Southpaw-Gym eine GmbH, hat also das Ziel, rentabel zu sein. Klassische Vereine dagegen verstehen sich als gemeinschaftliche Projekte, bei denen der gemeinsam ausgeübte Sport im Vordergrund steht. Zu moderaten Beiträgen kommen gegebenenfalls Unterstützungen von Bund und Ländern. Wegen der steigenden Mitgliedszahlen des Southpaw-Gyms beschloss die Geschäftsführung im Juli 2022, das Kursangebot zu erweitern, und versprach den Trainern und Trainerinnen einen Stundenzuwachs von fünf Stunden die Woche, der auch einmal ausbezahlt wurde. Diese erzählten später, sie hätten sich darüber gefreut. Wenige Wochen später, kurz vor den Sommerferien, kam für sie der Schock: Die Geschäftsführung eröffnete, sie könne aus wirtschaftlichen Gründen keine Stundenerhöhung vornehmen, sondern müsse ganz im Gegenteil das Trainingsangebot einschränken, also Stunden und damit Geld kürzen.

Break

Die Betroffenen erzählen dem kreuzer, sie seien aus allen Wolken gefallen: Weniger statt mehr Geld auf dem Konto stellte eine enorme finanzielle Belastung dar. Um gemeinsam eine Lösung herbeizuführen, hätten sie sich zusammengesetzt und einen Forderungskatalog an die Geschäftsführung erarbeitet. Das Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Coaches vor dem Einschnitt wird von den Beteiligten – auch den Inhabern und Gesellschaftern – als freundschaftlich beschrieben. Doch in der Situation blocken die Geschäftsführer ab und bestellen die Trainer und Trainerinnen einzeln zum Personalgespräch in die Anwaltskanzlei einer Gesellschafterin des Gyms ein. Die Betroffenen lehnen dies ab, woraufhin die Geschäftsführung ihnen vorwirft, nicht ernsthaft gesprächsbereit zu sein.

Die Kommunikation zwischen den Parteien spitzt sich mehr und mehr zu. Im November wenden sich die Betroffenen an die Gewerkschaft FAU, da noch Lohnansprüche sowie nicht bezahlte Überstunden und nicht bezahlter Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausstehen. Für die zugesandte Geltendmachung der ausstehenden Posten lässt das Gym die Zahlfrist verstreichen, die FAU organisiert daraufhin eine Kundgebung. Diese findet am 30. März vor dem Southpaw statt, um Druck auszuüben und auf die Zustände hinzuweisen. Zu diesem Zeitpunkt haben bereits fünf ehemalige Coaches gekündigt, die Fronten sind verhärtet.

Box

Die Kundgebung habe Wirkung gezeigt, erzählen die Betroffenen. Viele Mitglieder des Gyms, die von der Auseinandersetzung vorher nichts mitbekommen hatten, wurden nun darauf aufmerksam gemacht. Auch die Geschäftsführung meldete sich mit einem persönlichen Gesprächsangebot bei der FAU. Trotzdem war eine Einigung nicht absehbar, die ehemaligen Trainer und Trainerinnen zogen nach und schalteten ebenfalls einen Anwalt ein, um den fortlaufenden Konflikt zu klären.

Auf Nachfrage des kreuzers konstatieren die Inhaber des Gyms, erfasste Arbeitszeiten würden fehlen, weswegen die Ansprüche der Coaches teilweise nicht geklärt werden könnten. Zur Zeit des Redaktionsschlusses Mitte Juni wird noch korrespondiert. Die Betroffenen erzählen von einem unzufriedenstellenden Angebot seitens der Anwältin (die gleichzeitig Gesellschafterin der GmbH ist), das sie deshalb abgelehnt haben. Neben den ausstehenden Zahlungen wird von den Betroffenen vor allem eine manipulative und intransparente Kommunikation moniert. Die nächste Eskalationsstufe ist der Gang vor das Arbeitsgericht. Im Boxkampf wie im echten Leben gilt: Gibt es nach den vorgesehenen Runden im Ring keinen Sieger durch k. o., liegt es an den Punktrichtern, eine Entscheidung zu fällen.